Zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht



Rede zum Gedenken an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Gehalten am 19.01.2014 in Suhl.


Ich freue mich, dass ich gebeten wurde, heute an diesem Tag, an dem wir an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburgs Ermordung gedenken, zu sprechen. Ich denke die meisten hier kennen die Geschichte von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Deshalb möchte ich vor allem darauf eingehen, welche Bedeutung sie für unsere heutige Situation haben.


In diesem Jahr 2014 haben wir ein weiteres trauriges Jubiläum zu begehen. Der Beginn des ersten Weltkrieges jährt sich zum einhundertsten Mal. Kaum eine Biografie ist so dicht mit den Ereignissen des ersten Weltkrieges verwoben, wie die Karl Liebknechts. Karl Liebknecht, dessen Taufpaten Karl Marx und Friedrich Engels waren, ist 1871 in Leipzig geboren. Schon als junger Anwalt prangerte er die Klassenjustiz und die brutale Behandlung von Rekruten im Militär an. 1900 ist er schließlich in die SPD eingetreten, die damals als eine der fortschrittlichsten sozialistischen Parteien Europas galt. Liebknecht sollte uns vor allem als Antimilitarist in Erinnerung bleiben. Für seine Schrift „Militarismus und Antimilitarismus“ wurde er wegen Hochverrats verurteilt.


Als im August 1914 im Reichstag über die Kriegskredite für die Mobilmachung gegen Russland abgestimmt wurde, stimmte auch Liebknecht aus Gründen der Fraktionsdisziplin für die Kredite. Nach heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der SPD, bei der die Burgfriedenspolitik stark kritisiert wurde, kam es zu einem Beispiellosen Ereignis. Am 2. Dezember sollte erneut über Kriegskredite abgestimmt werden. Mehrere SPD Fraktionsmitglieder verließen vor der Abstimmung das Parlament und auch Liebknecht wurde aufgefordert, sich ihnen anzuschließen. Doch er wollte ein klares Zeichen gegen den Krieg setzen. Als einziger Abgeordneter des Parlaments blieb er bei der Abstimmung auf seinem Stuhl sitzen.


Und ein weiteres Mal bewahrheitet sich Marx‘ Diktum aus dem 18. Brumaire des Louis Bonaparte in dem er Hegel paraphrasiert: „Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Was sich am 2. Dezember 1914 als Tragödie abgespielt hatte, sollte sich 1998 als Farce wiederholen. Die SPD Fraktion, die freilich außer dem „S“ im Namen nichts sozialdemokratisches mehr an sich hatte, stimmte für den Einsatz der Bundeswehr im Kosovokrieg. Ein NATO Einsatz ohne UN-Mandat. Eine neue Burgfriedenspolitik war im vollen Gange, mit der die SPD endgültig ihre Ursprünge verriet. Karl Liebknecht stellt somit ein Beispiel dar, in einer Zeit in der nach dem Zweiten Weltkrieg mehr Kriege geführt wurden und werden, als je zuvor in der Geschichte.


Während ich Karl Liebknecht vor allem als Antimilitarist hervorheben möchte, so möchte ich bei Rosa Luxemburg vor allem auf ihr theoretisches Engagement eingehen. Die Linke, und ich spreche hier von der gesamten internationalen Bewegung und nicht nur von den parlamentarischen Parteien, befindet sich seit mehreren Jahrzehnten in einer Krise und das liegt meines Erachtens vor allem an einem theoretischen Defizit, das auch für das erstarken des Rechtspopulismus verantwortlich ist. Nach dem Zusammenbruch des so genannten real existierenden Sozialismus, schien der real existierende Kapitalismus gesiegt zu haben. Die Selbstkritik radikaler Theoretiker beseitigte jegliche bis dahin geglaubte Selbstverständlichkeiten. Eine neue Analyse des Kapitalismus musste und muss angestellt werden, neue Perspektiven und Einsichten gewonnen werden. Und erst langsam scheinen wir uns aus diesem Tief herauszuarbeiten. Doch bei aller Selbstkritik scheint mir die kommunistische Hypothese, wie der französische Philosoph Alain Badiou sie nennt, nämlich, dass es im kapitalistischen System keine Emanzipation des Menschen geben kann, nicht widerlegt worden zu sein. Der Kommunismus des 20. Jahrhunderts ist kläglich gescheitert, keine Frage und auch für Rosa Luxemburg war nur die Alternative zwischen Reform und „Straßenrevolution“, wie sie es nannte und die heute wenig aussichtsreich erscheint, zu sehen. Aber wir erleben neue Formen des Widerstands wie im arabischen Frühling oder Occupy Wallstreet und die alte Streitfrage zwischen Revolution oder Reform und Organisation oder Spontaneität treten wieder auf die Tagesordnung. Niemand hat so viele Entwicklungen in diesem Themenfeld vorausgesehen, wie Rosa Luxemburg.

Sie hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Reformen nur etwas bringen, wenn man das Endziel eines Sozialismus nicht aus den Augen verliert. Die These, dass der Kapitalismus ein ungerechtes System ist, das überwunden werden muss, ist gerade die These die sozialistische Parteien von allen anderen bürgerlichen Parteien unterscheidet. Ich denke hier natürlich zu allererst an DIE LINKE. Als einzige Partei weist sie immer wieder darauf hin, dass es um eine Transformation der kapitalistischen Gesellschaft gehen muss. Sollte sie eines Tages dieses Ziel aufgeben, dann gilt für sie das gleiche, was Rosa Luxemburg für die damalige SPD und den Reformismus Bernsteins festgestellt hat, sie macht sich überflüssig.

Sie wendete sich somit sowohl gegen den Reformismus Eduard Bernsteins, als auch gegen Lenins Konzept der Partei als Repräsentation der Arbeiter. Ihr war es wichtig, dass Revolution und Reform, Spontaneität und Organisation ineinandergreifen und ein Beziehungsgeflecht bilden müssen. Denn worauf es schließlich ankommt, ist was nach der Revolution bleibt, was sich wirklich im Alltag der Menschen verändert hat. Sie unterzieht bereits damals dem Konzept der Repräsentation eine Kritik, die heute eine Schlüsselstelle des theoretischen Diskurses einnimmt. Ihr war bewusst, dass eine einfache politische Machtübernahme nicht ausreicht, um die Gesellschaft freier und gerechter zu gestalten. Sie sagt in der Rede zum Programm der KPD: „Man dachte, es ist nur nötig, die alte Regierung zu stürzen, eine sozialistische Regierung an die Spitze zu stellen, dann werden Dekrete erlassen, die den Sozialismus einführen. Das war wiederum nichts als eine Illusion. Der Sozialismus wird nicht gemacht und kann nicht gemacht werden durch Dekrete, auch nicht von einer noch so ausgezeichneten sozialistischen Regierung. Der Sozialismus muß durch die Massen, durch jeden Proletarier gemacht werde.“ Es geht also darum neue Lebensformen zu entwickeln, die uns ein freieres Leben erlauben. Es geht auch darum neue Formen demokratischer Politik zu erfinden (ich sage hier mit Absicht erfinden, da wir bisher nicht wissen, was wir damit meinen), die sich nicht auf den Begriff der Repräsentation stützen und da genügen nicht einfach Ideen einer direkten Demokratie mit Volksabstimmungen. Wie diese Formen aussehen werden ist uns nicht völlig klar, da sie erst in der sozialen Praxis erschlossen werden müssen. Lassen wir Rosa noch einmal selbst zu Wort kommen. In der Rede zum Programm der KPD sagt sie zur Rolle der Arbeiter- und Soldatenräte: „Die Masse muss, indem sie Macht ausübt, lernen, Macht auszuüben. Es gibt kein anderes Mittel, ihr das beizubringen.“ Freilich sind es heute nicht die Räte, sondern Ereignisse wie Occupy Wallstreet, die sich in neuen Formen demokratischer Politik üben müssen und sie zugleich neu erfinden.

Ich bin mir sicher, dass Rosa Luxemburg heute begeistert von Parteien wie DIE LINKE und Syrizia wäre und gleichzeitig uns warnen würde, die parlamentarische Arbeit nicht zu überschätzen. In ihrem Text „Sozialreform oder Revolution?“ schreibt sie über den Parlamentarismus: „Zwar der Form nach dient der Parlamentarismus dazu, in der staatlichen Organisation die Interessen der gesamten Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen. (…) Die der Form nach demokratischen Einrichtungen werden somit dem Inhalte nach zum Werkzeuge der herrschenden Klasseninteressen. Dies tritt in greifbarer Weise in der Tatsache zutage, daß, sobald die Demokratie die Tendenz hat, ihren Klassencharakter zu verleugnen und in ein Werkzeug der tatsächlichen Volksinteressen umzuschlagen, die demokratischen Formen selbst von der Bourgeosie und ihrer staatlichen Vertretung geopfert werden.“ Ich denke das gilt auch heute noch und vielleicht sogar verstärkt, wenn man sieht, dass in China ein Autoritarismus der kapitalistischen Entwicklung dienlicher ist, als die Demokratie. Für sie waren es deshalb immer die Massen, die die Politik machen sollten, dazu gehörten Streiks, Demonstrationen, Parteien und viele mehr. Parteien sollten nicht die Arbeiter vertreten oder bevormunden. Sollte es soweit kommen müssten sich die Arbeiter auch gegen solch eine „Arbeiterpartei“ wehren. Heute würden wir natürlich nicht nur von Arbeitern sprechen, sondern von jeglichen Gruppen unterdrückter und benachteiligter Menschen. Aber es gilt noch immer, der Kampf muss je nach Situation im, aber unter Umständen auch gegen das Parlament oder beides zugleich stattfinden. Rosa Luxemburg verwehrt sich also einerseits der Bürokratie der parlamentarischen Demokratie, aber auch dem Zentralismus russischen Vorbilds.

Wir haben begriffen, dass die Geschichte nicht für uns arbeitet, eher im Gegenteil. Daher kann Parlamentspolitik erst einmal nur darin bestehen, den Zug der Geschichte aufzuhalten, bevor er gegen die Wand fährt. Eine Umgestaltung und Neuerfindung unserer Lebens- und Politikformen kann aber nicht aus dem Parlament kommen, sondern muss in der Praxis, im Leben geschehen.

Diese Gedanken, die ich von Rosa Luxemburg gewonnen und aktualisiert habe, zeigen, wie aktuell ihr Denken ist. Wer am Ideal einer Emanzipation des Menschen festhält und auf der Suche nach neuen Formen der politischen Organisation ist, kommt um Rosa Luxemburg nicht herum. Sie ist so aktuell wie kaum eine andere Denkerin des letzten Jahrhunderts. Daher ist es mehr als tragisch, dass sowohl Rosa Luxemburg, als auch Karl Liebknecht so früh von uns gehen mussten. Der internationalen Linken wird immer vorgeworfen, dass sie ihre Vergangenheit nicht aufarbeiten würden. Doch auch die SPD hat ein paar Leichen im Keller, an die sie sich nicht heran traut. Schließlich war es der SPD Reichspräsident Friedrich Ebert, der Gustav Noske damit beauftragte Freikorps aufzustellen, die den Spartakusaufstand niederschlagen sollten. Die Antibolschewistische Liga, finanziert von der deutschen Wirtschaft und der deutschen Bank, sorgten für eine Stimmung des Hasses und für eine Hexenjagd nach den Köpfen der frisch gegründeten KPD. Schließlich waren es Soldaten eben jener Freikorps unter Gustav Noske, die Luxemburg und Liebknecht im Rausche der Ereignisse einfach erschossen.
Aber diese Gedenkveranstaltung beweist, dass Rosa Luxemburg recht hatte wenn sie schrieb: „Ich war, ich bin, ich werde sein!“

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